Wie ist es möglich, eine funktionale, freudvolle Verbindung von Arbeits- und Lebenszeit zu erreichen? Es war und ist die Ausgangsfrage etlicher Menschen, deren Werte das aufkommende integrale Paradigma widerspiegeln. Entstanden ist ein spannendes Lebenskonzept, digitale Nomaden genannt.

Sandrine K., 26 Jahre alt,  Absolventin des Masters im Marketingmanagement erzählte uns von dieser neuen Lebensform und teilt uns ihre Gedanken und Empfindungen dazu mit.

Das Studium ist abgeschlossen, die Jobsuche beginnt. Damit stelle ich mir auch immer mehr Fragen über meine Zukunft. Was sind meine Wünsche und Ziele? Möchte ich wirklich Tag ein Tag aus 40 Stunden die Woche, am selben Ort, in ein und demselben Büro verbringen? Feste Arbeitszeiten und Urlaub, nur dann und so lange wie es dem Arbeitgeber passt? Und das alles, um Geld zu verdienen, für das ich dann vielleicht gar nicht die Zeit habe, es sinnvoll auszugeben? Also leben, um zu arbeiten?

Was ist nötig für eine gelungene Work-Life-Balance?

Für manche mag dies ja ein erfüllendes Leben sein – finanzielle Sicherheit, ein geregelter Alltag und Beständigkeit. Aber ich, die schon immer gerne gereist ist und flexibel bleiben möchte, komme nun zunehmend ins Zweifeln. Ist dies der richtige Weg für mich ist? Ich überlege, was mir eigentlich wirklich wichtig ist an meinem zukünftigen Job und wie ich mir mein Leben in den nächsten Jahren vorstelle. Dabei stehen für mich nicht das Gehalt und eine steile Karriere an erster Stelle. Vielmehr fallen mir als erstes Ziele wie Ortsunabhängigkeit, Flexibilität, Freiheit und Selbstbestimmung ein – und damit die Möglichkeit zu leben wo und wie ich möchte. Eine gute Work-Life-Balance und genügend Freizeit. Natürlich muss dieser Lebensstil auch irgendwie finanziert werden und im Idealfall sollte die Arbeit auch Spaß machen. Denn das Privatleben und die Freizeitaktivitäten mögen noch so erfüllend sein, einen großen Teil meiner Zeit werde ich nichtsdestotrotz mit meiner Arbeit verbringen. Also überlege ich, wie sich diese beiden Hauptziele vereinen lassen – Ortsunabhängigkeit und ein Einkommen, von dem man gut leben kann.

Der Wunsch nach Flexibilität und Selbstbestimmung

Noch vor einigen Jahren mochte dies für den Großteil der Menschen unvereinbar erscheinen. Auch heute noch ist diese Art des Arbeitens und Lebens eher die Ausnahme, jedoch gibt es immer mehr Menschen, die diesen Lebensstil verwirklichen. Sie nennen sich „Digitale Nomaden“: Unternehmer oder Arbeitnehmer, die fast ausschließlich mit Hilfe von digitalen Technologien arbeiten und ein ortsunabhängiges, multilokales Leben führen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Nomade). Ein Arbeitslaptop und ein Internetzugang, wo auch immer sie sich gerade befinden, ersetzen für sie feste Arbeitszeiten und –plätze. Sie reisen von Ort zu Ort, Land zu Land und bleiben dort, wo es ihnen gerade gefällt. Völlige Flexibilität und Selbstbestimmung, und befreit von gesellschaftlichen Erwartungen. Sie arbeiten um zu leben, jedoch wird für viele von ihnen die Arbeit gar nicht als solche wahrgenommen. Produktivität und ein hohes Einkommen stehen nicht an erster Stelle.

Der andere Blick digitaler Nomaden

Für digitale Nomaden wird Reichtum nämlich nicht am Vermögen gemessen, sondern vielmehr an Erlebnissen. Wenn man es so sieht, ist es also für jeden möglich „reich“ zu werden, auch ohne viel Geld. Für viele junge Leute meiner Generation klingt dieser Lebensstil ziemlich verlockend, und so auch für mich. Ich bin mir jedoch bewusst, dass es auch nicht einfach ist. Denn digitale Nomaden stehen auch vor einer Reihe Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Dabei stellt sich als erstes die Frage nach dem passenden Job für dieses Lebenskonzept. Viele digitale Nomaden sind selbstständig und arbeiten als Freelancer in verschiedensten Bereichen. Dies bedeutet im Vergleich zu einem Angestelltenvertrag jedoch ein höheres Risiko, womit nicht jeder zurechtkommt. Und auch wenn die Möglichkeit monate- oder jahrelang zu reisen für viele sehr spannend und reizvoll klingen mag, so kann dies auf Dauer auch anstrengend werden – zumal digitale Nomaden ja nicht nur Freizeit haben, sondern unterwegs noch ihren Job zu erledigen haben. Dieser Herausforderungen sollte man sich auf jeden Fall bewusst sein, bevor man sich in ein neues Leben stürzt.

Gemeinschaft erleben

Auch die Angst vor dem Alleinsein in einem fremden Land, weit weg von Freunden und Familie kann eine Rolle spielen. Jedoch bietet das Internet einige Möglichkeiten mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und gemeinsam als digitale Nomaden durch die Welt zu ziehen. So gibt es beispielsweise das Programm „Remote Year“, bei dem Menschen aus verschiedensten Ländern ein Jahr lang gemeinsam reisen und ortsunabhängig arbeiten. Die Teilnahmegebühren des Programms beinhalten sämtliche Reise- und Unterkunftskosten, einen gemeinschaftlichen Arbeitsplatz an jedem Ort sowie einige Aktivitäten und Ausflüge. So werden einerseits die Bedürfnisse nach mehr Sicherheit und sozialen Kontakten befriedigt, andererseits sinkt natürlich auch die Flexibilität durch die vorgegebene Reiseroute. Auch soziale Netzwerke wie Facebook bieten die Möglichkeit sich über bestimmte Gruppen mit anderen digitalen Nomaden auszutauschen und zu verabreden, wo auch immer man sich gerade auf der Welt befindet. Somit ist man zwar weit weg von seinen Freunden und seiner Familie zu Hause, aber kann dafür eine Menge anderer Menschen aus aller Welt kennen lernen.

Welches Arbeits- und Lebenskonzept das Richtige für mich ist, muss ich noch herausfinden. Sicherlich kann sich das auch in verschiedenen Lebensphasen verändern. Doch momentan könnte ich mir das Leben als digitaler Nomade durchaus für einen gewissen Zeitraum vorstellen. Ob es dann wirklich etwas für mich ist, lässt sich wohl nur herausfinden, indem ich es einmal ausprobiere.“

Digitale Nomaden durch dir Brille von SDi

Wenn wir mit der Perspektive SDi diese Lebensform betrachten, erkennen wir dass sie die Bedürfnisse der Ich-Ebenen vorrangig adressiert: Mut, Spaß, Abenteuer (rot), Autonomie, Risikobereitschaft, Innovation, Freiheit (orange)  sowie Flexibilität, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Funktionalität (Gelb).  Viele junge Erwachsene, die in der Postmoderne geboren wurden, zeigen jedoch ein starkes Bedürfnis nach einem „Wir“, das in großem Maßstab durch die Social Media adressiert wird. Dies haben Organisationen erkannt, die durch  spezifische Programme wie das o.g “ Remote Year“, diese Bedürfnisse der digitalen Nomaden ansprechen:  sich mit anderen Kulturen und Menschen zu verbinden, gemeinsam den Weg gehen und die Werte „Arbeiten um zu leben“ teilen (Grün), sich einer Sippe zugehörig fühlen (Purpur). Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich dieses Lebenskonzept weiterentwickelt, und inwieweit Unternehmen und Arbeitgeber sich darauf einlassen.

Claudine Villemot-Kienzle

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